Erzählperspektive

Die Erzählperspektive – Du bestimmst, wie viel der Leser weiß

Erfährt der Leser alles, was in deiner Romanwelt geschieht oder nur das, was deine Perspektivfigur sieht? Aus welcher Erzählperspektive du schreibst, ist eines der wesentlichen Gestaltungsmerkmale deines Buches. Welche Perspektiven gibt es, wie wirken sie auf den Leser und wie entscheidest du, was am besten zu deinem Roman passt?

Definition: Was ist die Erzählperspektive?

Die Erzählperspektive bezeichnet die Sichtweise, aus der eine Geschichte erzählt wird. Je nachdem, für welche du dich entscheidest, verfügt der Leser über mehr oder weniger Informationen über die Figuren, die Handlung und ihre Hintergründe.

Bei einer auktorialen Erzählperspektive hat auch der Leser alle Informationen über die Geschichte, in der Ich-Erzählung sieht er nur, was die Perspektivfigur sieht und kennt ihre Gefühle und Gedanken. Die Wahl der Perspektive hat einen großen Einfluss darauf, wie der Roman auf den Leser wirkt.

Was ist der Unterschied zwischen Autor und Erzähler?

Autor und Erzähler sind nicht identisch. Wenn du einen Roman schreibst, kreierst du einen fiktiven Erzähler, von dessen Standpunkt die Geschichte erzählt wird. Am Beispiel der personalen Erzählperspektive, also aus der Sicht einer Figur, lässt sich das am einfachsten verdeutlichen: Du als Autor kennst deine gesamte Handlung und alle Figuren – die Perspektivfigur, also der Erzähler, kann dem Leser aber nur mitteilen, was sie selbst weiß und erlebt.

Welche Erzählperspektiven gibt es?

Es wird zwischen vier Erzählperspektiven unterschieden: Die auktoriale, d.h. allwissende Erzählperspektive, die personale Erzählperspektive, der Ich-Erzähler und die neutrale Erzählperspektive.

Die auktoriale Erzählperspektive

Der Begriff leitet sich aus dem lateinischen Wort „auctor“ ab und lässt sich mit Urheber oder Berichterstatter übersetzen. Der auktoriale oder allwissende Erzähler kennt Handlung und Figuren und kann dementsprechend auch das Innenleben der Charaktere oder deren Beziehungen erläutern. Dieser Standpunkt ermöglicht es, Ereignisse im Handlungsverlauf zu kommentieren, zu bewerten, vorwegzunehmen oder rückblickend zu erzählen. Für den Leser bedeutet das, dass er gemeinsam mit dem Erzähler eine Außenperspektive einnimmt und mehr weiß als die einzelnen Figuren.

Wenn du die auktoriale Erzählperspektive wählst, solltest du darauf achten …

  • … den Leser nicht gleich am Anfang des Romans mit Informationen zu überfrachten.
  • … die Spannung aufrechtzuerhalten, indem der Erzähler nicht zu früh Geschehnisse vorwegnimmt.
  • … für welche Erzählweise du dich entscheidest: kritisch und kommentierend, heiter oder neutral? Die Haltung des Erzählers ergibt sich häufig automatisch, je nachdem, ob du einen kritischen Gesellschaftsroman oder einen heiteren Unterhaltungsroman schreiben möchtest.

Die personale Erzählperspektive

Der personale Erzähler nimmt den Blickwinkel einer oder mehrerer Figuren im Roman ein. Im Gegensatz zum auktorialen Erzähler ist er also Teil der Handlung. Er kann nur das wiedergeben, was die Perspektivfigur erlebt, denkt und fühlt. Über das Verhalten anderer Figuren kann er nur spekulieren. Deren Innenleben oder Motivationen kennt er nicht oder nur, wenn diese sie äußern. Auch der Leser nimmt hier eine Perspektive von innen heraus ein und kann so tief in die Geschichte eintauchen.

Wenn du dich für deinen Roman für einen personalen Erzähler entscheidest, solltest du …

  • … die Figur, aus deren Sicht erzählt wird, sehr genau kennen. Ein Charakterbogen kann dir helfen, die Motivationen und Handlungen plausibel darzustellen.
  • … im Laufe des Schreibprozesses immer darauf achten, was die Figur wissen kann, um einen unbeabsichtigten Wechsel in die auktoriale Erzählperspektive zu vermeiden.

Der Ich-Erzähler

Eine Ich-Erzählung ist einfach zu erkennen: Sie ist in der ersten Person Singular, also in „ich“, verfasst. Innerhalb der Erzählperspektive wird unterschieden zwischen dem „erzählenden Ich“, das die Geschichte rückblickend erzählt, und dem „erlebenden Ich“, das sie gerade erlebt.

Das „erlebende Ich“ kann nur das wiedergeben, was gerade passiert, was es darüber denkt und in diesem Moment fühlt. Über die Gedanken oder Meinungen anderer Figuren kann es genau wie der personale Erzähler nur spekulieren.

Das „erzählende Ich“ hingegen berichtet von Geschehnissen, die bereits vergangen sind und kann diese deshalb bewerten oder kommentieren oder dem Leser Ereignisse oder Erlebnisse vorenthalten – ganz so wie es einem auktorialen Erzähler möglich ist.

Wenn du deine Geschichte als Ich-Erzähler verfassen willst, solltest du …

  • … die Figur, die erzählt, sehr genau kennen hinsichtlich ihrer Motivationen, Wünsche, Ziele und Beweggründe.
  • … zu häufige Wechsel zwischen erlebendem und erzählendem Ich vermeiden, um dich nicht zu verzetteln und den Leser nicht zu verwirren.

Die neutrale Erzählperspektive

Neutral meint, dass der Erzähler die Ereignisse wie eine Art unbeteiligter und unsichtbarer Beobachter wiedergibt. Er ist also weder Teil der Geschichte, noch kommentiert oder urteilt er über die Geschehnisse. Am besten ersichtlich wird neutrales Erzählen in szenischen Darstellungen, in denen dem Leser lediglich die Aussagen und Handlungen der Figuren präsentiert werden, er aber keinen Einblick in ihre Gedanken und Motivationen erhält.

Ein prominentes Beispiel für die neutrale Erzählperspektive ist die in den 1930er Jahren erschienene USA-Trilogie von John Dos Passos, der unter anderem im zweiten Teil der Trilogie, „1919“, Ereignisse und Figuren kameraartig an den Leser „heranzoomt“. Seine Schreibtechnik wurde deshalb unter dem Begriff „Camera-Eye“ bekannt.

Unter Literaturwissenschaftlern ist die neutrale Erzählperspektive umstritten. Kritiker führen an, dass ein Erzähler stets wertet, indem er auswählt, was oder wer beschrieben wird. Neutral kann ein Erzähler demnach niemals sein.

Entscheidest du dich für die neutrale Erzählperspektive, solltest du dir darüber bewusst sein, dass …

  • … es sich dabei um eine anspruchsvolle Erzählperspektive handelt, für die du die szenische Darstellung beherrschen sollst.
  • … du im Gegensatz zum auktorialen oder personalen Erzählen ganz andere Stilmittel verwenden musst, um Ereignisse zu bewerten. Beispielsweise fiktive Zeitungsartikel oder Fotos, Aussagen anderer fiktiver oder realer Personen etc.

Welche Erzählperspektive sollte ich als Autor wählen?

Welche Erzählperspektive am besten zu deiner Geschichte passt, hängt ganz davon ab, was du erzählen möchtest. Geht es dir darum, die inneren Beweggründe und Sehnsüchte einer Figur in den Vordergrund zu stellen? Dann bietet sich die personale oder die Ich-Perspektive an. Willst du Geschehnisse kritisch kommentieren, hinterfragen oder bewerten, solltest du die auktoriale Erzählperspektive wählen.

Auch kann es abhängig vom Genre sein, in dem du schreibst. Für einen Liebesroman kann es beispielsweise wertvoll sein, anhand der Ich-Perspektive oder der personalen Erzählperspektive die sehnlichsten Wünsche und Emotionen der verliebten Hauptfigur darzustellen. Oder du wechselst zwischen der Perspektive zweier Verliebter und zeigst die jeweiligen Gedanken und Gefühle. Ein Krimi kann eine andere Erzählperspektive brauchen als eine Biografie oder ein Kinderbuch.

In umfangreichen Erzählungen, beispielsweise in Fantasy- oder historischen Romanen, findet sich meist ein auktorialer Erzähler. Weil viele Details zur Fantasy-Kulisse oder dem historischen Kontext erläutert werden müssen oder viele Figuren vorkommen, die eine bedeutende Rolle im Gesamtgeschehen haben.

Je besser du die Standards und Merkmale des Genres kennst, in dem du schreibst, desto intuitiver wirst du die Erzählperspektive wählen. In jedem Fall gilt: Es gibt keine Regeln innerhalb des Genres. Wenn du dir unsicher bist, probiere ein paar Szenen in unterschiedlichen Perspektiven aus, um die zu finden, die am besten zu deiner Geschichte passt.

Fazit

Für welche Erzählperspektive du dich entscheidest, hat Auswirkungen auf das Leseerlebnis. Überlege dir deshalb, welche Position der Erzähler und damit auch der Leser in deinem Roman einnehmen soll. Geht es dir um die Innenansicht einer Figur oder möchtest du von außen kommentieren und bewerten? Beispiele zu den unterschiedlichen Erzählperspektiven findest du auf wortwuchs.net.

Mache keine Wissenschaft daraus, sondern probiere einfach ein paar Perspektiven aus und entscheide dich für die, die dir am besten liegt oder zu deinem Genre passt. Die Erzählperspektive ist nur eines von vielen Gestaltungsmitteln beim Schreiben. Für die Ausarbeitung deiner Handlung und Figuren kann dir beispielsweise die Schneeflockenmethode helfen. Damit lernst du die Protagonisten kennen und siehst, wie sie im Handlungsverlauf interagieren – auch so kannst du feststellen, wer sich als Perspektivfigur eignet.von

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