Welcher ist der schönste erste Satz?
Die Initiative Deutsche Sprache und die Stiftung Lesen haben im Jahr 2007 einen Wettbewerb „Der schönste erste Satz“ veranstaltet. Dafür gingen sie auf die Suche nach dem beliebtesten ersten Satz der deutschsprachigen Literatur. Die Auszeichnung erhielt „Der Butt“ von Günter Grass mit seinem Einstieg: „Ilsebill salzte nach“. Als schönster Buchanfang im Genre Kinder- und Jugendbuch wurde Janoschs Erzählung „Lari Fari Mogelzahn“ ausgezeichnet: „In der Mottengasse elf, oben unter dem Dach hinter dem siebten Balken in dem Haus, wo der alte Eisenbahnsignalvorsteher Herr Gleisenagel wohnt, steht eine sehr geheimnisvolle Kiste.“
Was ist das Geheimnis hinter dem Erfolg dieser Sätze? Sie sind grundverschieden, trotzdem fesseln beide ihre Leser und sie wollen wissen, wie es weitergeht.
Für den Buchanfang braucht es eine Geschichte
Du solltest dich beim Schreiben deines Buches nicht sofort auf den ersten Satz stürzen und ewig daran herumfeilen. Das hält nicht nur auf, sondern es braucht für einen spannenden Einstieg in die Geschichte zuerst genau das: Die Geschichte. Für den Buchanfang kann es hilfreich sein, wenn du dir vorab ein Gerüst baust und deine Handlung strukturierst. Wenn du weißt, was auf den folgenden Seiten passiert, fällt es dir leichter, einen passenden Einstieg zu finden. Anschließend kannst du dich auf die kreative Textarbeit konzentrieren – und deinen perfekten Romananfang basteln.
Was gehört in einen Buchanfang? Schauplatz und Charaktere vorstellen, ohne zu viel zu verraten.
Entführe deinen Leser auf der ersten Buchseite sofort an den Ort der Handlung und zu den Romanhelden. Und das so knackig, lebendig und spannend, dass der Leser mehr erfahren möchte. Und das gelingt, indem Fragen aufgeworfen werden. Starte nicht mit detailreichen, seitenlangen Beschreibungen der Charaktere oder des Ortes, sondern steige direkt ins Geschehen ein. Ein packender Anfang lebt von Auslassungen und Lücken. Verrate nicht schon im Buchanfang alles über deine Protagonisten. Konzentriere dich auf die Besonderheiten, Ecken und Kanten oder Defizite deiner Figuren. Damit werden sie glaubwürdig und machen die Leser neugierig. Leser wollen sich gleich in den ersten Sätzen mit den Hauptcharakteren identifizieren und erfahren, wie ihre Geschichte weitergeht. Sie müssen sich in die Charaktere reindenken und mitfühlen können oder zumindest von diesen angeregt oder inspiriert werden. Stell dir vor dem Schreiben die Frage, warum gerade diese Figur interessant ist, was Protagonist und Leser verbinden könnte oder welcher Aspekt des Romanhelden sie reizen könnte. Dafür müssen Figur und Schauplatz nicht komplett beschrieben werden. Zeige am Buchanfang nur so viel wie nötig, um das Interesse zu entfachen.
Mit dem zentralen Konflikt in den Buchanfang
Spannung ist schon auf Seite 1 das Stichwort. Dafür kann gleich zu Anfang der zentrale Konflikt kurz angerissen werden. Ideal ist, wenn du bereits in den ersten Sätzen Fragen aufwirfst und mit einem Geheimnis oder Rätsel beginnst. Nach diesem Rezept funktioniert auch der Buchanfang von Janoschs Buch: Die Leser fragen sich sofort, was es mit der geheimnisvollen Kiste auf sich hat. Mit einem solchen Einstieg spannst du einen roten Faden, der deine Leser vom Buchanfang packt. Mach die Leser zu Spürnasen, die dein Buch nicht mehr aus der Hand legen wollen, bis sie das Geheimnis des Anfangs gelöst haben.
Was bedeutet in medias res? So gelingt dir ein knackiger Buchanfang.
Eine gute Methode, um zum Romanbeginn Spannung aufzubauen, ist, die Handlung „in medias res“ beginnen zu lassen. Das heißt, du führst den Leser nicht langsam an die Geschichte heran, sondern steigst mitten im Geschehen ein. Deinem Leser bleibt keine Atempause zur Langeweile. Durch Handys, Internet und Co. ist die Aufmerksamkeitsspanne eines modernen Lesers nicht mehr dieselbe wie noch zu Goethes Zeiten. Leser können heute aus einer Flut an Büchern und anderen Freizeitaktivitäten auswählen. Deshalb muss dein Werk direkt auf der ersten Seite überzeugen. Starte mit einer dramatischen Szene, dem zentralen Konflikt und fordere damit deinen Protagonisten. Das treibt die Fantasie deiner Leser auf den Siedepunkt. Und schon hast du sie, wo du sie haben willst: gebannt an den Buchseiten klebend.
Stimmung erzeugen
Damit deine Leser gar nicht erst auf die Idee kommen, dein Buch wegzulegen, solltest du bereits auf der ersten Seite die Stimmung deines Romans aufbauen. Mit dem Buchanfang kannst du eine Stimmung erzeugen, die Erwartungen, Spannung und Gefühle auslöst und sofort eine Verbindung zwischen Leser und Text schafft. Überlege dir dafür schon vor dem Schreiben, wie du deinen Roman gestalten willst. Ob du humorvoll oder düster, heiter oder melancholisch formulierst. Dabei kann dir eine Liste von Vokabeln oder Adjektiven helfen, die für bestimmte Stimmungen stehen und die du gezielt in den Text einbaust.
Emotionen schaffen oder auch mal provozieren
Zwar wollen die meisten Menschen harmonisch und reibungslos leben, aber wenn es um Bücher geht, stehen Reibung und Konflikt im Vordergrund. Und das auch auf Seite 1. Provoziere deine Leser ruhig schon mit dem Buchanfang und erschaffe Emotionen, die sie dazu bringen, bis zur letzten Seite zu lesen. Denn nur wenn du deine Leser emotional bewegst, blättern sie um. Warum wurde in der Presse so oft über „Shades of Grey“ von E. L. James geredet? Vielleicht auch deshalb, weil die Lektüre provoziert hat und vielfältige Meinungen und Ansichten nach sich gezogen hat.
Wie finde ich einen guten ersten Satz?
Verkrampfe dich nicht auf den ersten Satz. Ein genialer, packender Einstieg in das Buch ist der erste Schritt, um Leser an das Werk zu binden. Aber es ist nicht der Einzige. Du solltest dich nicht nur auf einen guten ersten Satz verlassen. Ideal ist, wenn er fesselt und zum Lesen anregt. Aber danach geht es um den restlichen Roman. Verzweifle nicht daran, wenn dir nicht sofort der ultimative erste Satz einfällt. Im schlimmsten Fall führt das zu einer Schreibblockade und du kommst gar nicht mehr voran. Deshalb: Lass dich nicht aus der Ruhe bringen. Leg los mit deinem Werk, um den Romananfang kümmerst du dich einfach später. Aus der Rücksicht ist es manchmal leichter, einen passenden und knackigen ersten Satz zu basteln.
Wie geht denn nun ein guter Buchanfang? Drei Beispiele.
„Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“ – aus „Der Prozess“ von Franz Kafka
Dieser erste Satz von Kafkas Roman „Der Prozess“ haut wie eine donnernde Faust auf die Leser nieder. Der Einstieg kommt prompt, ohne lange Vorrede, und wirft direkt Fragen auf: Warum wird ein unschuldiger Mensch verleumdet und von wem? Ein spannungsgeladener Widerspruch, der uns sofort mitten ins Geschehen zieht.
„Sie spürte das Zittern des Bodens, sah den glühenden, schwankenden Horizont, hörte die Schreie der Panik, die sich zu einer wilden Kakophonie des Grauens vereinigten.“ – aus „Die Träne des Fressers“ von Nathan C. Marus
Nathan C. Marus inszeniert mit seinem Roman nicht nur eine bildgewaltige, düstere Fantasywelt, sondern wirft seine Leser ab der ersten Zeile in einen Kosmos aus Ungewissheit, Panik und Grauen. Mehr in medias res geht nicht. Genau wie die außergewöhnliche Protagonistin, eine Elfe in einem Universum gewaltiger Schlachten, werden auch wir Leser gefordert, uns in diesem gefährlichen Kosmos zu orientieren.
„Wissen Sie, warum es Auftragskiller gibt?“ – aus „Adiós, mein Liebster“ von Sybille Baecker
Die Krimiautorin Sybille Baecker geht wieder ganz anders an ihren Buchanfang heran. Mit diesem gewaltigen ersten Satz provoziert sie das Gegenüber und uns Leser. Wir wollen die Antwort auf diese Frage hören und erfahren, warum sie überhaupt gestellt wird. Baecker provoziert mit dem Einstieg und baut mit diesem Satz zugleich eine knisternde Stimmung auf, die uns in der Lektüre gefangen nimmt und zum Umblättern animiert.
Jetzt bist du dran! Wie lautet der erste Satz deiner Geschichte?