Was ist die Schneeflocken-Methode?
Bei der Planung eines Romans Stück für Stück vorgehen – das steckt hinter der Idee von Softwareentwickler und Schriftsteller Randy Ingermanson. Er „designt“ das Buch wie ein Puzzle, das sich aus vielen kleinen Teilen zusammensetzt. Daher der Begriff Schneeflocken-Methode: Wie bei einer Schneeflocke setzt man einzelne Elemente zusammen, bis am Ende eine komplexe und zugleich beeindruckende Struktur entsteht. Den Roman zu „designen“, also den Handlungsaufbau zu planen, ist ein wichtiger Teil der Arbeit eines Autors, so Ingermanson. Zwar ist diese Methode nicht für jeden Autor geeignet, aber gerade Debütautoren begehen den Fehler, einfach „drauf los“ zu schreiben, ohne Handlung und Figuren vorher im Detail zu planen. Das kann dazu führen, dass sie sich in vielen einzelnen Erzählsträngen verfangen und den roten Faden verlieren. Davor kann dich die Schneeflocken-Methode bewahren.
Die einzelnen Schritte
Die folgenden zehn Schritte der Schneeflocken-Methode, basierend auf dem Artikel „The Snowflake Method For Designing A Novel“ von Randy Ingermanson, beinhalten eine Empfehlung des Entwicklers, wie viel Zeit du der Aufgabe jeweils widmen solltest. Das dient als Orientierung, um zeitlich strukturiert zu arbeiten.
Schritt 1: Der eigene Roman in einem Satz
Ingermanson empfiehlt, dir eine Stunde Zeit zu nehmen, um deine Buchidee in einem Satz zusammenzufassen. Je kürzer, desto besser. Stell dir vor, dass dieser Satz das ultimative Verkaufsargument gegenüber Verlagen, Buchhändlern oder Lesern sein soll. Das heißt: Der Satz muss sitzen! Dabei kannst du auf Details und Namen der Figuren verzichten. Eine Zusammenfassung könnte etwa lauten: „Eine Frau erbt unerwartet ein Haus in der Normandie und stößt dort auf Spuren eines lang zurückliegenden Verbrechens.“ Der Satz sollte, so rät Ingermanson, die allgemeine Ebene mit der persönlichen Ebene des Romans verbinden.
Schritt 2: Dein Roman in fünf Sätzen
Für diesen Schritt kannst du eine weitere Stunde investieren. Erweitere hier den in Schritt 1 formulierten Satz zu einem Absatz aus etwa fünf Sätzen. Dieser soll den groben Aufbau des Romans beschreiben, die wichtigsten Spannungsmomente oder „Katastrophen“, wie Ingermanson sie nennt, und das Ende. Er arbeitet mit etwa drei Spannungsmomenten, die jeweils etwa ein Viertel des Buches einnehmen.
Nicht zu verwechseln ist dieser Text mit dem sogenannten Klappentext, der später auf der Umschlagrückseite deines Buches steht. Dieser sollte nicht alle Spannungsmomente vorwegnehmen und schon gar nicht verraten, wie das Buch endet.
Schritt 3: Wie entwickelt man die Hauptfiguren in der Schneeflocken-Methode?
Mit den ersten beiden Schritten hast du einen Überblick über den groben Handlungsablauf des Romans. Jetzt sind die Figuren dran. Diese plant Ingermanson auf ähnliche Weise. Eine gute Geschichte lebt von ihren Protagonisten. Je besser du sie planst, umso einfacher fällt dir das Schreiben.
Ingermanson empfiehlt, dir pro Figur etwa eine Stunde Zeit zu nehmen und je eine etwa einseitige Zusammenfassung zu schreiben. Formuliere die Geschichte der Protagonisten und erkläre, was die Figur antreibt, was ihr Ziel ist und mit welchen Hindernissen sie konfrontiert wird. Was lernt sie im Laufe des Romans? Wie entwickelt sie sich weiter?
Ingermanson betont, dass diese Zusammenfassungen oft später noch einmal abgeändert und variiert werden, je tiefer du im Laufe der Planung in den Roman einsteigst. Das ist ein normaler Prozess. Auf diese Weise reift die Geschichte.
Schritt 4: Die Handlung auf einer Seite
Dieser Schritt erfordert mehrere Stunden Zeit und knüpft an Schritt 2 an: Erweitere den Absatz zu etwa einer Seite. Dafür solltest du aus jedem Satz aus Schritt 2 einen eigenen Absatz entwickeln. Ziel ist es dabei, die einzelnen Ideen und Spannungsmomente auszubauen und zu „formen“. Jeder Absatz dieser ausführlichen Zusammenfassung sollte in einer „Katastrophe“ enden, der letzte Absatz beschreibt das Ende des Romans.
Der Vorteil an Ingermansons Methode ist: Bereits nach den ersten vier Schritten wirst du merken, ob dein Roman ein stabiles Gerüst hat, also die Handlung plausibel ist und funktioniert. Falls nicht, wird es dir schwerfallen, eine längere Zusammenfassung zu formulieren. Dann heißt es: Neue Spannungsmomente entwickeln oder das Kernthema aus Schritt 1 anders angehen.
Eine solche Erkenntnis mag frustrierend sein. Es ist aber besser, jetzt die Notbremse zu ziehen als zu einem viel späteren Zeitpunkt, wenn du bereits hunderte Seiten Ihres Romans zu Papier gebracht hast.
Schritt 5: Stelle deine Figuren ausführlich vor
Was du in Schritt 4 für die Romanhandlung erstellt hast, folgt nun für die Figuren. Das braucht vermutlich ein paar Tage. Ingermanson empfiehlt, für jede Figur – Haupt- und Nebenfiguren – je eine halb- bis einseitige Zusammenfassung zu erstellen. Dabei soll die Geschichte des Romans jeweils aus ihrer Sicht erzählt werden. Auf diese Weise reifen die Figuren weiter und die einzelnen Charakterzüge und Motivationen werden konkretisiert.
Ingermanson hat diese Zusammenfassungen aus Figurensicht sogar als Bewerbung bei Verlagen eingereicht, aus der Erfahrung heraus, dass sich Lektoren für Romane begeistern, die von starken Figuren leben. Eine kluge Idee, um mit seinem Manuskript in Verlagen Aufmerksamkeit zu erregen.
Mit den ersten fünf Schritten steht nun das Grundgerüst deines Romans. Die weiteren Schritte bauen darauf auf, gehen tiefer ins Detail und erfordern somit etwas mehr Zeit. Ingermansons Zeitangaben dienen allerdings lediglich als Orientierung. Wenn du mehr oder weniger Zeit brauchst, keine Sorge: Jeder Autor hat ein individuelles Arbeitstempo.
Schritt 6: Die Handlung detaillierter beschreiben
Etwa eine Woche setzt Ingermanson an, um die in Schritt 4 entstandene, einseitige Zusammenfassung des Romans auf etwa vier Seiten zu erweitern. Als Erleichterung hilft die bereits angewandte Methode, die einzelnen Absätze zu einer Seite auszuformulieren. Damit steigst du automatisch tiefer in die Geschichte ein, entwickelst Abläufe und Logik der Handlung im Detail und fällst strategische Entscheidungen. Es macht nichts, wenn du Aspekte und Ideen der vorhergehenden Schritte anpassen musst. Das ist ganz normal, denn du gewinnst mehr Einblick in den Roman und hast wahrscheinlich auch noch neue und andere Ideen. Übrigens: Auch die Erzählperspektive solltest du dir langsam überlegen. Sie entscheidet darüber, wie viel der Leser weiß und über den Handlungsverlauf erfährt.
Schritt 7: Die Figuren zum Leben erwecken
Auch bei den Figuren geht es nun ins Detail: Basierend auf den Kurzzusammenfassungen aus Schritt 3 kannst du umfassende Beschreibungen entwerfen. Jetzt geht es um alles, was die Figur ausmacht. Vom Geburtsdatum und der bisherigen Lebensgeschichte bis hin zu den Wünschen, Beweggründen und Zielen. Am wichtigsten ist dabei laut Ingermanson: Detailliert beschreiben, wie sich der Charakter im Laufe der Geschichte weiterentwickelt und verändert. In diesem Arbeitsschritt erweckst du deine Figuren buchstäblich zum Leben.
Für Schritt 7 benötigst du vielleicht mehrere Wochen, aber das zahlt sich am Ende aus. So vermeidest du, einen Roman zu schreiben, dessen Figuren unausgereift sind und den Leser wenig beeindrucken.
Schritt 8: Wie verschaffe ich mir in der Schneeflocken-Methode einen Überblick?
Wenn du gern mit Tabellen und Übersichten arbeitest, wird dich dieser Arbeitsschritt begeistern. Jetzt geht es darum, eine Liste in Tabellenform auf Grundlage der mehrseitigen Zusammenfassung aus Schritt 6 zu erstellen. Darin beschreibst du alle Szenen, die die Geschichte zum Roman machen.
Das klingt komplizierter, als es ist: Ingermanson empfiehlt eine Tabelle mit je einer Zeile pro Szene. In drei Spalten formulierst du pro Szene eine Überschrift, erklärst, was passiert und aus wessen Sicht sie geschrieben ist. Optional kannst du in weiteren Spalten noch erwähnen, wie viele Seiten die Szene in etwa umfassen soll und wo sie spielt.
Anhand der Tabelle siehst du die gesamte Handlung des Romans auf einen Blick und kannst bei Bedarf Szenen innerhalb des Handlungsverlaufes verschieben.
Schritt 9: Eine ausführliche Beschreibung für jede Szene
Diesen Arbeitsschritt lässt Ingermanson bei seiner eigenen schriftstellerischen Tätigkeit inzwischen aus, da ihm das Schreiben eines Romans ab diesem Zeitpunkt leicht von der Hand geht. Debütautoren kann es aber helfen, die Tabelle aus Schritt 8 als Basis zu nehmen, um zu jeder Szene noch einmal eine mehrere Absätze umfassende Beschreibung zu formulieren. Darin stellst du den den Konflikt der Szene dar. Notiere ruhig Ideen und Ansätze für Dialoge. Der Vorteil: Wenn dir bei einzelnen Szenen kein Konflikt einfällt, erkennst du hier, ob sie wirklich notwendig sind. Es entsteht auf diese Weise ein erster Prototyp deines Romanentwurfs.
Schritt 10: Schreib deinen Roman
Los geht’s! Nun kannst du starten und deinen Roman schreiben. Weil die logische Detailarbeit dank der Schneeflocken-Methode erledigt ist, kannst du dich jetzt auf die kreative Ausarbeitung der Geschichte konzentrieren. Laut Ingermanson beschleunigt das den Schreibprozess enorm. Vielleicht kennst du das Gefühl, wie belastend es ist, beim Schreiben nicht voranzukommen, womöglich sogar eine Schreibblockade zu haben. Dieses Problem hast du nun mit der Schneeflocken-Methode behoben.
Fazit
Jeder gute Roman lebt von einer starken Handlung und authentischen Figuren. Mit der Schneeflockenmethode von Randy Ingermanson kannst du aus einer Idee einfach und Schritt für Schritt einen Roman entwickeln. Eine Grundidee lässt sich mit der Schneeflockenmethode hervorragend ausbauen, planen, tiefer durchdenken und ausschmücken.
Tatsache ist aber, wie Ingermanson selbst schreibt: „Es gibt nicht nur einen Weg, einen Roman zu schreiben, es gibt viele. Wenden Sie die Methode an, mit der Sie am besten zurechtkommen.“ Teste unterschiedliche Methoden für die Strukturierung deiner Geschichte aus, um zu finden, was am besten zu dir passt. Die Schneeflockenmethode kann eine Anregung sein, ist aber nicht als steifes Modell oder unverzichtbarer Erfolgsfaktor deiner schriftstellerischen Tätigkeit zu verstehen. Es gilt: Ausprobieren! Jeder Ansatz hilft dir, dein eigenes Schreiben zu verbessern und deinen individuellen Weg zu finden.